Daniel Drepper

Liveblog vom Sportpolitik-Seminar des Deutschlandfunks


In Köln, beim Deutschlandfunk, spricht im Moment, um 10.20 Uhr, wahrscheinlich Michael Vesper vom DOSB, Thema: Sportnation Deutschland. Und ich? Sitze im Zug, grad kurz hinter Mainz. Ich schwör‘, ich wär pünktlich gewesen – wenn mir beim ersten Anreiseversuch heut in aller Frühe nicht erst in Koblenz aufgefallen wäre, dass mein Laptop-Ladegerät noch unter meinem Schreibtisch schlummert.

Immerhin sind meine Kollegen Anja Perkuhn und Jonathan Sachse (hoffentlich) schon vor Ort und schreiben mit. Das gibts dann später auch hier zu lesen. Und weil Jonathan auch ein Ladegerät zu Haus vergessen hat, nämlich das seines Rasierers, sehe ich zum Ende der Konferenz wenigstens besser aus; die Verspätung ist dann eh vergessen. Los gehts also mit fünf Tagen Liveblog aus Köln.

[Jonathan] Morgen beginnt Play The Game, inoffiziell wird die Konferenz heute schon eröffnet. Denn der Deutschlandfunk bietet ein hochwertiges besetztes Seminar an, welches inhaltlich und organisatorisch eng mit den kommenden Tagen verknüpft ist. Alles noch mit deutschsprachigen Experten bevor die Konferenzsprache morgen auf englisch wechselt.

Der Blick aufs Programm verrät es schon, zähle die Redner Expertenliste trotzdem hier auf, denn die ist einfach zu gut: Dr. Willi Steul, Dr. Michael Vesper, Jens Weinreich, Anno Hecker, Thomas Kistner, Oliver Fritsch, Kai Pahl, Jürgen Kalwa, Hajo Seppelt, Ronny Blaschke, Fritz Pleitgen, Dr. Jörg-Uwe Nieland, Holger Ihle, Professor Dietrich Leder, Jochen Staadt, Hans-Georg Moldenhauer, Harald Pieper, Rica Reinisch, Hans-Georg Aschenbach – Was will man als “kleinen Teaser” für die kommenden Tage mehr erwarten?

[Daniel, 11.17 Uhr] Gunter Gebauer, Jens Weinreich – und ich im Zug. Zur Vorbereitung lese ich nochmal Jens‘ Text über Richard Pounds Forderungen an den korruptionsbekämpfenden Sport. Er schreibt: „Ich bin überzeugt, dass Richard Pound am Montag (3. Oktober) in Köln am ersten Tag der Konferenz Play the Game die beste Rede halten wird, die je ein hochrangiger Sportfunktionär zum allgegenwärtigen Korruptionsthema abgeliefert hat. Pound stellt die Existenzfrage. To be or not to be.“

In den Kommentaren dort wird auch auf dieses Blog hingewiesen, dass auf den ersten Blick interessant wirkt.

[Anja, 12.35 Uhr] Nach großen, salbungsvollen Worten von Michael Vesper, dem Generaldirektor des DOSB, zur gesellschaftlichen Bedeutung des Sports und großen Worten zum DOSB selbst (“Olympische Spiele 2018 in Deutschland wären klimafair gewesen!”) und der Dopingbekämpfung im Sport (“Es wurde ein ausgeklügeltes System zur Erfassung und Bestrafung der Übeltäter geschaffen. Der Abstand zwischen Betrügern und Verfolgern ist kleiner geworden, davon bin ich überzeugt.”) steht eine Konferenzteilnehmerin auf und geht.

Nicht weit, sie rollt eine lila-rote Matte aus und legt sich hinter den Stuhlreihen auf die Matte auf den Boden und hört von dort aus zu. Wahrscheinlich leichter so, diese Dinge richtig wirken zu lassen.

[Jonathan, 12.45 Uhr] Daniel wird es schon viel besser gehen, schließlich wurde er heute morgen von Jens Weinreich mit seiner hervorragenden Liveberichterstattung vom Sportausschuss für den Wandel in der Sportberichterstattung erwähnt. Die Zeiten der oberflächigen und oftmals fehlinformierten Agenturen ist vorbei. Jeder Journalist kann sein eigenes Massenmedium mit seinem Spezialgebiet etablieren.

Nun gut, noch bin ich frisch rasiert. Ende der Woche wird sich das Erscheinungsbild ändern, Stichwort unseriöser Bartwuchs. Nach den morgendlichen Referaten und anschließender Q&A sitzen Anja und ich jetzt im Workshop “Korruption statt Katharsis: In den Tiefen der geheimen Sportdiplomatie am Beispiel des Fußballweltverbandes FIFA.” Ausführlichere Texte folgen später. Ab 15h wird der Deutschlandfunk die Veranstaltungen im Podium wieder als Audio-Stream anbieten. Wir leben, Texte folgen.

Astrid Rawohl (links) und Thomas Kistner (rechts)

Astrid Rawohl (links) und Thomas Kistner (rechts)

[Anja, 12.54 Uhr] “Es gibt gar keine Hoffnung”, sagt Thomas Kistner von der Süddeutschen Zeitung. Ein Teilnehmer des Workshops “Korruption statt Katharsis: In den Tiefen der geheimen Sportdiplomatie am Beispiel des Weltfußballverbandes FIFA” hat aus Kistners Berichterstattung zum Duell zwischen Sepp Blatter und Mohamed bin Hammam um den Posten des FIFA-Präsidenten herausgehört, dass Kistner Hoffnung hatte, Bin Hammam würde die Zustände ändern. “Es gibt gar keine Hoffnung”, sagt Kistner also und wippt mit dem Fuß. “Die FIFA ist Blatter.”

Die Teilnehmerin mit der lila-roten Matte steht auf und verlässt den Raum. Nicht, weil sie den fröhlichen Zynismus im Raum nicht erträgt. Diesmal, weil die Diskussion auf Deutsch geführt wird, und sie schlicht kein Wort versteht.

[Daniel, 14.12 Uhr] „Rechtsradikalismus im Fußball“ heißt das Seminar, in dem ich – endlich angekommen – jetzt sitze. Ronny Blaschke sagt, Rechtsextreme seien keine Einzelfälle. „Wir sind Lokisten – Mörder und Faschisten“ – Blaschke zeigt ein Banner bei Lok Leipzig. „Wie kann die NPD das nutzen?“ 2008 hat Blaschke das am Beispiel von Leipzig recherchiert. Nach drei-vier Wochen hat er gemerkt, dass er nicht weiterkommt und hat die Rechtsextremen direkt über deren Internetforum kontaktiert. Nach einigen Treffen gab es die ersten Informationen. „Schwierig war, die Rechtsextremen davon zu überzeugen, dass ich seriös arbeite.“

Informant war „Marco Remmler“ (Pseudonym). Er hat sich im Verein lange engagiert, irgendwann bekam Remmler Stadionverbot. Der parkte einen Lkw mit der Aufschrift „Rudolf Heß, Mord verjährt nicht“ vor dem Stadion. Blaschke: „Mit dem Fußball kann auch Propaganda machen, wenn man Stadionverbot hat.“

Blaschke: „Am Anfang habe ich mich noch auf Diskussionen eingelassen, aber irgendwann muss man sich auf eine kalte Recherchehaltung einlassen.“ Man müsse die Aussagen der Rechtsextremen kommentieren und umrahmen, deshalb sei es zum Beispiel in einem Buch durchaus möglich (Blaschke hat vor kurzem „Angriff von Rechtsaußen“ herausgegeben), ein Interview mit einem Neonazi zu drucken, in der Zeitung nicht.

Blaschke recherchiert viel in sozialen Netzwerken und Foren. „Das ist unerträglich, aber manchmal stößt man auf Sachen, die berichtenswert ist.“ Fußballfans machen zum Teil die Drecksarbeit, sagt Blaschke, zum Beispiel Sicherheitsdienst bei rechten Rockkonzerten.

NPD nutzt Fußball-Patriotismus für sich. „Das funktioniert ohne Hetze, dass man den Fußball nutzen kann, um Propaganda zu machen.“ Der Verfassungsschutz gehen laut Blaschke von 25.000 Neonazis in Deutschland aus, aber allein in Sachsen haben bei der letzten Landtagswahl 100.000 Leute NPD gewählt. Der Fußball dient als Fänger.

Blaschke ist für die erste große Geschichte 13 mal nach Leipzig gefahren, hatte etwa 1000 Euro an Recherchekosten. Erst ist das ganze in ein Zeit-Dossier geflossen, dann 30 Minuten für DRadio Kultur, ein Kurzbeitrag für den Deutschlandfunk. „Man muss erst was recherchieren, bevor man weiß, wo man es veröffentlicht.“ Freier Recherchejournalismus kann sich rentieren, muss aber nicht.

„Mir war wichtig in dem Buch, dass sich die Leute selbst entlarven. Ich bin gegen den dämonisierenden Ton. Das geht natürlich nur, wenn man denen auch Platz gibt, zum Beispiel in einem Buch.“

Beispiel Stephan Haase: Haase war sechs Jahre lang Landesvorsitzender der NPD in NRW. „Wir Deutsche waren immer faire und freundliche Gastgeber, ob 1936 oder 2006“, hat Haase früher gesagt. Er sitzt im Stadtrat von Lüdenscheid, hetzt dort gegen Migranten, pfeift aber gleichzeitig am Wochenende Spiele von Migrantenteams. Die Medien fuhren die große Empörungswelle, letztlich durfte Haase aber weiterpfeifen. Blaschke sagt, er sei erst der zweite Journalist gewesen, der mit Haase persönlich gesprochen hat. Natürlich sei eine tiefe Recherche für Lokalzeitungen schwierig, aber eigentlich wichtig, um die Rechtsextremen wirklich zu packen. „Nazi – trainiert – Jugendliche“ reicht meist schon für eine Agenturmeldung und eine SpOn-Schlagzeile. Dabei müsse man sich sachlich und nüchtern mit denen auseinandersetzen, um zu zeigen: Wo sind die anti-demokratisch, wo gefährlich? „Natürlich haben die immer ein Forum, aber man kann es eingrenzen.“

Rechtsextremismus im Fußball ist eine Nische in der Nische. Blaschke nennt Christoph Ruf und Olaf Sundermeyer als Kollegen, die ebenfalls dauerhaft über Rechtsextremismus im Fußball berichten, mehr fallen ihm nicht ein. Blaschke hat sich als Freier auf drei, vier, fünf Themen beschränkt, damit er sich „ohne hochzustapeln auch auf solchen Konferenzen wie hier vernünftig äußern zu können“.

Fragen aus der Runde:
Wie ist das mit Angst? „Der Bandleader von Kategorie C hat quer durch den Saal gebrüllt: Hey Ronny. Das ist sehr subtil, für mehr sind die zu klug. Bei einem Konzert in Bernau waren 300-400 alkoholisierte Hooligans, da weiß man nie. Die sind natürlich gefährlicher als der Blatter. Der hat seine Anwälte als Waffe. Aber ich bin ja nicht denunziatorisch, dass ich deren Adresse verrate oder so. Und wenn die anonym bleiben wollen, dann bleiben die bei mir ja auch anonym. Ich gebe denen ein differenziertes Forum. Das ist besser als das zu verschweigen.“

„Den Leuten ist egal, ob sie die Jugendlichen mit Fußball, Kultur oder Konzerte erreichen. Der Begriff Unterwanderung spielt für die keine Rolle, das ist was ganz Normales für die.“

Wie gestaltet sich die Szene im Verhältnis Ost-West? „Dass es im Osten eine andere politische Struktur gibt, als in NRW ist klar. Aber allein das man die Frage stellt, impliziert schon eine Relativierung, was dem ganzen nicht gut tut. In Dortmund gibt es die Autonomen Nationalisten in der Südtribüne. Bei 1860 München sind 60 Neonazis in der Kurve.“ Dazu gibt es auch einen Beitrag meiner WAZ-Kollegen zu Blue Power Ueckendorf, einem Fan-Club von Schalke 04.

Was ist mit Rechtsextremen in Polen und der Ukraine? Die werden laut Blaschke die WM wohl nutzen, wie Neonazis die WM 2006 in Deutschland genutzt haben (Anmerkung: Stichwort Owomoyela und NPD), aber die Medien reden das laut Blaschke zu sehr herbei. Man könne auch mal über die positiven Beispiele und Sozialprojekte reden. Natürlich seien die Rechtsextremen in der polnischen Liga präsent, aber die distanzieren sich von den großen, bunten Turnieren.

Wie sieht Blaschke die Arbeit der etwa 50 Fanprojekte bundesweit? „Die haben halt kein Forum, das ist nicht sexy. Berichte funktionieren da nur im Deutschlandfunk.“ Die Sonntagsreden vom 20er kann Blaschke auch nicht mehr hören. Das ist natürlich Kritik auf hohem Niveau, in anderen Ländern gibts das gar nicht, aber in Leipzig gibt es zwei Jahre nach der Veröffentlichung des Zeit-Dossiers das Fanprojekt noch immer nicht auf vernünftigem Niveau.

Schöner Vortrag, das Buch hol ich mir jetzt gleich mal persönlich von Ronny. Im Handel 16,90 Euro, mal gucken ob hier noch was geht an Rabatt. Kommt dann wohl zu dem Zehn-Bücher-Stapel auf meinem Schreibtisch in Mainz dazu.

Morgen Abend läuft um 17.30 Uhr im Deutschlandradio Kultur ein halbstündiges Feature zum Thema. Titel: „Im Wolfspelz: Wie eine Rockband rechtsextremistische Einstellungen bei Fußballfans fördert.“

Nächstes Thema von Ronny Blaschke ist übrigens Anti-Ziganismus, die Verfolgung von Roma im europäischen Fußball.

[Daniel, 15.17 Uhr]
Hier gibts den Livestream zur Veranstaltung, danke @deutschlandfunk

[Daniel, 15.25 Uhr] Jörg-Uwe Nieland stellt grad im großen Konferenzraum zum ersten Mal seine Analyse zur Berichterstattung über München 2018 vor, die er soweit ich weiß mit Thomas Horky gemacht hat. Ich versuche ihn zu überreden, mir die Folien später zu mailen. Dann gibts die natürlich hier und bei meinen Kollegen Jonathan und Anja. [Update, 17.29 Uhr] Folien gibts erstmal nicht, vielleicht später mal ein bisschen Text. Die Untersuchung war auch nicht mit Thomas Horky. Die von mir vermutete Präsentation ist eine andere, sie wird bei Play the Game vorgestellt.

[Es ist 17.13 Uhr, ich trage die Einträge meiner Kollegen nach]

[Anja, 14.55 Uhr] Für China war am Ende keine Zeit mehr, auch so etwas kann passieren. „Unbekannte Welten – Sportsysteme in China und Nordkorea“ hieß der Workshop, aber wenn man wie Hajo Seppelt und Robert Kempe mit einem Film über Sport und vor allem das Trainingssystem in Nordkorea in den Raum kommt (zu finden in der Mediathek), dann passiert das selbe wie dem armen Lehrkörper früher im Biounterricht: Danach will natürlich niemand mehr über etwas Anderes sprechen.

Glücklicherweise gab der Film sogar noch mehr her, als sich selbst mit seinen Bildern von menschenleeren Straßen und wahlweise maschinenhaft trainierenden oder strammstehenden Koreanern: Es kam im Workshop recht schnell die Frage auf, ob das Team nun stolz auf die Reportage wäre. Da sie sich jahrelang um eine Drehgenehmigung in Nordkorea bemüht hatten, fiel die Antwort eindeutig aus: „Stolz“, sagte Kempe, „ist nicht das richtige Wort.“ Am Ende sei es nur darum gegangen, die Drehgenehmigung zu bekommen – „die wichtigste Arbeit haben der Kameramann und die Cutterin gemacht, um aus den Bildern, die wir in unserem durchgeplanten Besuchsprogramm bekommen haben, diesen Beitrag zu machen.“

Sechs Tage lang war das WDR-Team aus den beiden Redakteuren und einem Kameramann unterwegs, geführt und angeleitet von zwei Betreuern. Straßenumfragen machen, ein sogenanntes Sporttalent auch mal Zuhause besuchen – unmöglich.

Die Bilder sind entsprechend sehr klinisch und teilweise fast gespenstisch: Ein Tischtennis spielendes Mädchen, das roboterartige Bewegungen mit der Kelle ausführt, auch wenn die Spielpartnerin bereits nicht mehr an der Platte steht, bohrt sich ins Bewusstsein. Ein Teilnehmer mahnt aber, das bereits als typisch abzutun: „In deutschen Trainingszentren sieht das nicht anders aus. Solche Bewegungen muss man einfach üben.“

Der Eindruck bleibt trotzdem, dass diese Welt eine weit, weit entfernte ist. Und auch die Frage von Sportphilosoph Gunter Gebauer, „eine bombastische, die man sicher jetzt so schnell nicht beantworten kann“, bleibt tatsächlich nur leicht touchiert im Raum stehen: „Welchen Zweck hat der Sport da? Macht denen das eigentlich Spaß?“

Vor allem um internationale PR gehe es dabei, sicherlich auch um Wehrertüchtigung, um die durchgehende Militarisierung der Gesellschaft. „Das Schießen als Ausdruck der Landesverteidigung ist dort offenbar besonders fördernswert“, sagt Kempe. Und irgendwo, ergänzt Seppelt, gibt es aber auch die Menschen, die wohl Spaß am Sport haben. Hat man ihnen dort gesagt.

[Jonathan, 16.51 Uhr] Nachgetragen die Mitschreibsel von der Podiumsveranstaltung am Vormittag, in der drei Referenten mit anschließendem offenen Q&A zu Wort kamen. Laut Andreas-Peter Weber standen dabei auch Herr Vespers und Jens Wallreich auf der Bühne.

Zunächst zu Dr. Michael Vesper (Generaldirektor des DOSB, ehemals Grüne). Viele, viele Zahlenspielchen… in Deutschland existieren über 91.000 Vereine. Unzählige Ehrenämter, die bei einer Bezahlung eine finanzielle Last von 6 Mille bedeuten würden. Das muss man sich mal vor Augen führe – SECHS MILLIARDEN EURO!!!! Über allem steht der Fußball in Deutschland, besonders in der Berichterstattung. Die mehr als 20mio. Aktiven in anderen Sportarten spielten eine ungeordnete Rolle. Große Worte folgen, Anja hat den fast gewonnen Dopingkampf schon zitiert. Auch die Vergangenheit wird aktuell durch zwei Studien aufgearbeitet: “Wir stehen zu unserem Erbe”, schmettert Vesper und “der größte Feind beider übel (Wettbetrug/ Korruption) ist Transparenz.” Auf mehr Details konnte er “aus Zeitgründen nicht weiter eingehen.” In knapp einer 1 Minute waren die schwierigen Themen abgegessen. Mehr Zeit nahm sich Vesper lieber, um an die drei Grundaufgaben der Journalisten zu erinnern:

  1. Berichten, was geschieht
  2. Die Hintergründe liefern
  3. Einordnen

…und dabei “die Distanz zwischen Subjekt und Objekt zu wahren.” Sein Referat “Einführung in den praktischen Journalismus” (Titeloption) setzte er fort, indem er die Journalisten in zwei Kategorien unterteilte. Auf der einen Seite die “Follower” und dem gegenüber die “Anführer”. Die Follower seien zu brav. Die Anführer pflegten ihren persönlichen Feldzug, mit dem Ergebnis einer zu einseitigen Berichterstattung.

Als nächstes folgte Prof. Dr. Gebauer (Sportphilosoph, FU Berlin) mit einem Knallerreferat, indem er sportgeschichtlich das Sportland Deutschland einordnete. Ich versuche ein paar Kernaussagen zusammenzufassen, bei seinem Redetempo, gelingt mir das leider nur ansatzweise:

  • Wir leben in einer Gesellschaft der Ungleichheit. Obere und mittlere Schichten vorneweg, untere bleibt chancenlos.
  • Die Rolle des Sports hat sich verändert. Er motiviert nicht mehr, bildet nicht mehr.
  • Rückblick 1: In der DDR wandelte sich das individualistische Modell zum kollektivistische Modell. Der Sport für die Bürger zum mitmachen. // Anmerkung: War das früher anders? In Deutschland gilt der Turnsport als die sportliche Ursprungsbewegung. Gemeinsames Turnen im Stadion, ein kollektives Gefühl der Körperertüchtigung für späteres Recruiting.
  • Rückblick 2: Der Westen nahm das DDR-Modell auf: Athleten als Leistungsrepräsentanten, Staat als Hauptförderer des Spitzensports, Unterstützung über die Regeln des Sports hinaus von Personen/ Unternehmen/ Vereine etc.
  • Gegenwart: Aktuell kein deutsches funktionierendes Sportmodell. Da der innere Zusammenhalt der Gesellschaft nicht mehr gegeben sei, erfülle auch der Sport keine soziale Funktion mehr.
  • Problem: Der Sportler stecke in einer biographischen Falle. Nur die wenigsten Sportlern erwerben im Laufe ihrer sportlichen Laufbahn genügend Reichtum, um auch nach der Karriere abgesichert zu sein. Auf das Leben nach den roten Teppich nach “einem lange und harten Training” wären sie nicht vorbereitet.

Hm, viel neues? Nach meiner Zusammenfassung hört sich das nicht mehr so an. Er konnte das irgendwie besser ausdrücken. Nun gut. Altes Wissen neu festigen hat auch was.

Dann Jens Weinreich. Ich zitiere Kai Pahl, der von seinem Platz Michael Vesper gut beobachten konnte: “Weinreich spricht seit 5 Minuten. Vesper fängt an schwer zu atmen, macht sich für nachfolgende Diskussionen Notizen.”

In seinem Referat suchte JW nach einem zukünftigen Modell für sportpolitischen Journalismus. Was kann ein Journalist heute? Er wird in weniger als zehn Jahren laut Google alle digitalen Daten in seiner Hostentasche tragen können. Theoretisch könnte jeder Journalist ein eigenes Massenmedium etablieren und er ist und sollte verdammt schnell sein, Journalismus in Echtzeit. Seine Funktion hat sich dabei gewandelt: “(Er) muss teilen lernen… geben lernen… kann dann auch nehmen.” Die Zeit der Agenturen als wichtigster Informationsdienstleister neige sich dem Ende. Mittlerweile arbeite er, bei mir nicht anders, mit seinem eigenen Nachrichtenaggregator und greife gezielt auf Quellen von Leuten zurück, den er vertraue. So ganz ohne ein paar FIFA-Insights geht es natürlich nicht, nenne nur zwei seiner Geschichten:

  • Ein FIFA-Insider hätte 5 Millionen von ihm verlangt, wenn er über den möglicherweise “größten Sportkorruptionsskandal” der Geschichte (WM 2018/2022) auspacke. Dazu weitere 5 Millionen, wenn die Veröffentlichung eine erneute WM-Vergabe zur Folge hätte.
  • Kann eine “Facebook Revolution” auch auf den Sport angewendet werden? Vor kurzem hat Weinreich von einem an den Tahrir-Platz angelehnten Gedanken gehört, indem Anti-FIFA Aktivisten eine Belagerung des Schweizer Hauptquartiers geplant haben sollten.

[Daniel, 17.25 Uhr] Zu lange rumgeklickt: Abschlussdiskussion, geleitet von Herbert Fischer-Solms bislang verpasst, dumm von mir. Thema: „Deutsch-deutsche Sportgeschichte. Was war und was ist noch zu tun?“ Ich versuche mal einzusteigen. Es geht um die Unterschiede zwischen DDR- und Westsport. Ich komm kaum rein, weil ich so viel verpasst habe. Sportphilosoph Gunter Gebauer sagt, im DDR-Sport sei das Bewusstsein im Gegensatz zum Westen so, dass die Sportler etwas für die Gesellschaft tut, dass er international Anerkennung sammelt – und dass ihm der Staat dafür Anerkennung in Form von Geld und Vorteilen verschafft. Dies sei im Westen so wohl nicht der Fall, hier sei der Sportler eher allein gelassen.

Lothar Pöhlitz (Trainer im ostdeutschen und im westdeutschen Leichtathletik-Verband, DDR-Flüchtling) kritisiert den fehlenden Fokus des Sportjournalismus auf Kinder- und Jugensport. In der Bildungspolitik werde null Fokus auf den Schulsport gelegt. „Schlechter gehts nicht“ sei die Situation im Moment im Schulsport. „Das hat heute unter dem Begriff Journalismus null Rolle gespielt.“ Moderator Herbert Fischer-Solms sagt: „Das muss an anderer Stelle geklärt werden.“

War das große Interesse der Bevölkerung am Spitzensport in der DDR nur Propaganda? Jochen Staadt (Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin) sagt Nein. Der Sport sei das einzige Feld gewesen, wo die Identifikation der Bevölkerung 100 Prozent war.

Gunter Gebauer: Es gibt eine unendliche Vielfalt von Sportarten in Deutschland. „Ich rede jetzt schon fast wie Herr Vesper. Da muss man dem DOSB Recht geben. Aber das wird natürlich nicht in den Medien abgebildet. Das ist das Drama. Aber mit Kanu- oder Reitwettkämpfen lockt man kein Millionenpublikum an den Fernseher.“

Herbert Fischer-Solms will von Gebauer wissen, wie wichtig Sportmedaillen für das Prestige eines Landes im Ausland ist? „Nicht wichtig“, sagt Gebauer. „Das Prestige eines Landes bemisst sich heute beileibe nicht daran, wie erfolgreich ein Olympiateam ist.“ Beispiel: Nächstes Jahr sei in Brasilien das Jahr der Deutschen, da präsentiere sich die Bundesrepublik. Federführung: Die deutsche Industrie, dazu das Goethe-Institut und die Banken. „Und der Sport? Abwesend.“ Gebauer sagt, Prestige eines Landes muss von Prestige im Sport getrennt werden.

Hans-Georg Moldenhauer ist ehemaliger DFB-Vizepräsident und Gründungspräsident des Fußballverbandes Nordost. Er sagt: Bei Stützpunkten ist natürlich die Zielstellung, Medaillen zu holen.

Ute Krieger (DDR-Schwimmerin und staatlich anerkanntes Dopingopfer / Frau von Andreas Krieger): „Ich glaube wir brauchen keine Medaillen.“

Lothar Pöhlitz entgegnet: „Warum gehen alle 14 Tage zu Borussia Dortmund ins Stadion oder zu einer Leichtathletik-WM? Es gibt immer noch sehr viele, die sich für Leistung im Sport interessieren. Unser Problem mit Olympischen Spielen ist, dass unsere Sportler nicht genügend konkurrenzfähig sind. Die Leute wollen, dass wir auf einer breiteren Front konkurrenzfähig sind.“ Steile These! (Die ich absolut nicht teile)

Fischer-Solms steigt auch drauf ein: „Vier Bob- und Rodelbahnen. Ist das Geldverbrennung?“ Die anschließende Diskussion habe ich nur halb mitbekommen.

Herbert Fischer-Solms kommt zum nächsten Thema: „Sind die DDR-Dopingopfer der Stachel im Fleisch des deutschen Spitzensports?“ Jochen Staadt sagt, er denkt, dass nachfolgende Generationen die Frage nach den Tätern und Schuldigen genauso scharf stellen werden, wie nach der NS-Zeit. Aber eben erst, wenn die Verstrickten und Dulder nicht mehr in entscheidenden Positionen sind.

Ute Krieger erzählt zum Stand des DDR-Opfer-Ausgleichs: Die Geschädigten können aktuell wohl nur über eine Härtefallklausel eine Opferrente bekommen. Bisher hat diese noch nicht gegriffen bei Anträgen. Über die bestehenden gesetzlichen Regeln ist es schwer, einen Ausgleich zu bekommen. Deshalb solle das Doping-Opfer-Hilfe-Gesetz nochmal angeschaut werden. Im Gesetz stünde auch, dass es nach einer gewissen Zeit nochmal angeschaut werden solle. „Aber die Ergebnisse kann ich nicht sagen, dass das eine Hilfe ist. Das ist alles sehr, sehr vage. So wie sich gewisse Gremien damit beschäftigen, ist es so, dass viel Lebenszeit vergeht. Das scheint das größte Problem der Dopingopfer zu sein. Da läuft uns einfach die Zeit davon. Das Phänomen des Aussitzens ist für die, die Entscheidungen treffen müssen, natürlich die erste Wahl.“

Herbert Fischer-Solms fragt, was der Sport zum  Zusammenwachsen der Deutschen beitragen kann. Lothar Pölitz sagt, dass es Zeit ist, dass die Deutschen darüber reden, was der andere besser machen muss. Im Sport, in der Politik. Das ist der erste Schritt, der getan werden muss. „Was müssen wir verändern im Sport? Was im Sportjournalismus?“ Er kommt auf den Schulsport zurück und bittet erneut den Sportjournalismus, dort zu helfen.

„Ist der Sport Verlierer oder Gewinner der Einheit?“ Fragt Herbert Fischer-Solms. Hans-Georg Moldenhauer sagt: Der Sport ist ein Gewinner der Einheit, ganz klar. Ute Krieger-Krause: „Ich glaube weder noch. Sport ist eben Sport. Der Sport braucht keine Medaillen, der braucht begeisterte Kinder und Jugendliche. Das ist viel zu schade, als dass da in irgendeiner Weise Krüppel produziert werden.“ Jochen Staadt entscheidet sich auch für Gewinner. „Der Sport hält vieles in der Gesellschaft zusammen. Die Vereine, das ist ein Engagement von Leuten vielfach ehrenamtlich für ein Gemeinwesen. Das ist ungemein wichtig.“ Gunter Gebauer: „Auf jeden Fall Gewinner. Weil es möglich ist, ohne jede Feindschaft jetzt zusammen zu sein, Ost und West.“

-> Morgen wirds kürzer, prägnanter, ich versprechs

[Zum Abschluss wird Herbert Fischer-Solms geehrt, Sportredakteur des Deutschlandfunks. Er muss in einigen Monaten in Rente gehen.]

[Anja, 18.16 Uhr] Christoph Heinemann vom Deutschlandfunk wurde vorhin noch schnell in die Diskussion geschoben und auf dem Sessel platziert, auf dem eigentlich WDR-Intendant Fritz Pleitgen hatte sitzen sollen. Um öffentlich-rechtlichen Sportjournalismus ging es, und Heinemann hatte laut Moderator Marco Bertolaso „nur zwei Minuten Zeit gehabt, um sich vorzubereiten“. Spontan schob Heinemann hinter die Diskussion über die Verquickung von Sport und Berichterstattern noch schnell die Idee: Man sollte Kindern schon in der Grundschule vermitteln, „dass Wirtschaft und Sport eng miteinander zu tun haben“.

Den in gewisser Weise entgegengesetzten Ansatz präsentierte Lothar Pöhlitz etwas später in der Diskussion zur deutsch-deutschen Sportgeschichte: Seine Tochter sei Lehrerin, erzählte er, „und es ist katastrophal.“ Die Gesundheit und Sportlichkeit der Kinder meinte er damit, „das sollte man erkennen – und der Sportjournalismus sollte auch mal darauf hinweisen.“

Was kann der Schulsport also und was sollte er? Die Knirpse fit machen? Aufklären? Werte vermitteln? Integrieren? Alles gleichzeitig? Nichts davon?

Auf jeden Fall auch hin und wieder: ein bisschen Spaß machen. Und das hat heute sogar auch schon jemand gesagt: Ute Krause. Die sagte: „Sport braucht keine Medaillen. Er braucht begeisterte Kinder und Jugendliche.“

[Jonathan, 18.14 Uhr] Wie so oft bei einer Workshop-Betitelung wurde der Titel nicht wirklich eingehalten. Erarbeitet wurde unter der Betitelung “Sport-Trends und mediale Tendenzen: Wo tun sich neue Märkte auf?” kaum etwas, dafür viel gefragt und geklagt. Das lag nicht an den Gästen. Das versprochene Format wurde einfach nicht eingehalten. Die Online-Expertenrunde mit Jürgen Kalwa, Kai Pahl und Oliver Fritsch hätte in der selben Besetzung auch bei der re:publica auftreten können. Würde mich bei der Konferenz zur digitalen Kommunikation ohnehin über mehr Sportthemen freuen. Ok, andere Baustelle…

Von links: Jürgen Kalwa, Kai Pahl alias dogfood, Moritz Küpper vom Deutschlandfunk und Oliver Fritsch / Foto: Jonathan Sachse

Von links: Jürgen Kalwa, Kai Pahl alias dogfood, Moritz Küpper vom Deutschlandfunk und Oliver Fritsch / Foto: Jonathan Sachse

DAS Ergebniss kam in der Diskussionsrunde nicht zu Stande, keine Überraschung. Es wurde aber der Versuch unternommen, die Zurückhaltung in den deutschen Medienhäusern bei der Einbindung von neuen Content-Wegen zu begreifen. Teilnehmer Jens Weinreich nannte “Neid” als ein Problem der großen Medienhäuser. Das offensichtliche Potenzial von Bloggern und neuen Kommunikationswegen will nicht erkannt werden. Prof. Dietrich Leder (Kunsthochschule für Medien Köln) sprach von einem fehlenden Entwicklungsgeld, welches vor einigen Jahren (wann?) noch in den großen Verlagen existierte.

Aktuell wird kaum Geld und Zeit für neue Perspektiven investiert. Kein Mut auszuprobieren. Keine Geduld länger zu testen. Statt “das Profil (eines Mediums) durch eigene Inhalte zu stärken”, werden die eigentlichen Premium Inhalte durch zahlreiche Agentur Meldungen verwässert, meinte Jürgen Kalwa. Ein weiteres Problem in der Argumentation der Verlage stelle die starrische Sichtweise auf die Quantität der Userzahlen dar. Die Qualität der User wird nicht bemessen, obwohl diese den eigentlich Mehrwert bringt. Schön oft von Jens betont, auch in dieser Runde.

Ich kenne das Problem von Agentur-Kunden im Social Media Bereich, geht in eine ähnliche Richtung. Auch diese suchen nach dem ROI, dem Return-Of-Investement, einem messbaren Wert der User. Was bringen einem die User? Wir wollen doch nur Autos/ Kleidung/ Bälle verkaufen…

[Erstmal Schluss für heute; morgen gehts weiter, Play the Game. Dann multimedialer, kürzer, mit weniger Dopplungen, strukturierter. Wir lernen.]

[Nachtrag, Daniel, 1.31 Uhr]
Fazit des Tages; Radio-Interview mit der Redaktionsleiterin der Sportredaktion des Deutschlandfunks, Astrid Rawohl. Sie würde 2013 so etwas gerne noch einmal organisieren und daraus „vielleicht auch eine Institution entstehen lassen.“ Ich hoffe, dass das klappt. Die Dortmunder Sportjournalismus-Konferenz gab es ja leider nur ein einziges mal. In der abendlichen Runde sind übrigens auch schon Ideen für eine Konferenz kritischer Sportjournalisten „Unter 31“ gesponnen worden, quasi zur Nachwuchsförderung.

  1. 2. Oktober 2011 -

    Oh Netzteil vergessen… hab ich dieses Wochenende auch geschafft

  2. 2. Oktober 2011 -

    … beziehungsweise zu wenig ;)

  3. 3. Oktober 2011 -

    Danke fürs Livebloggen. Das Nachlesen war sehr erhellend.

  4. 3. Oktober 2011 -

    @indykiste: Sehr gern. Wir versuchen, das in den nächsten vier Tagen so beizubehalten.

  5. 3. Oktober 2011 -

    Wie unterschiedlich die Erwartungshaltung doch ist. Einer der Kollegen sagte mir, Michael Vesper hätte viel mehr zum Verhältnis Sportverbände/Journalisten sagen sollen und weniger zum Thema Sportland Deutschland, schließlich sei es eine Sportjournalismus-Konferenz. So wünscht sich offensichtlich jeder was anderes. Der Titel des Vortrages „Sportland Deutschland“ war vom DLF so vorgeschlagen.

    Auch wenn die Zahlenspiele vielleicht nicht für jeden spannend gewesen sind, sei soviel gesagt: In den über 91.000 Vereinen gibt es Tausende gute und berichtenswerte Geschichten. Wer Kontakte benötigt, bitte melden.

  6. 3. Oktober 2011 -

    Auch aus meiner Sicht hätte Herr Vesper gerne noch mehr zu dem Spannungsverhältnis der beiden Seiten erzählen können. Sein Ton gestern wirkte am Ende seiner Ausführungen doch sehr belehrend. Statt die einseitige Arbeitsweisen der Journalisten anzuprangern, hätte ich mich über ein wenig Selbstreflexion gefreut. Wo kann der DOSB seine Kommunikation mit den Journalisten verbessern? Welche Fehler wurden gemacht? Was lernt mach daraus…

  7. 6. Oktober 2011 -

    […] Liveblog von der Sportjournalismus-Konferenz […]