Daniel Drepper

Der deutsche Behindertensport: International ohne Macht

Die Leichtathletik der Behinderten schrumpft: Von mehr als 200 auf 170 Wettbewerbe. Eine deutsche Goldkandidatin darf deshalb in London nicht mehr starten. Der deutsche Verband hat nichts dagegen unternommen. International haben die Deutschen kaum Einfluss. Sie sind selbst schuld daran.

Seit Anfang 2009 hat das Internationale Paralympische Komitee IPC an der Streichung für London 2012 gearbeitet. Eine erste Liste hat es aber erst Ende März 2011 veröffentlicht. Darauf fehlte unter anderem der Weitsprung von Wojtek Czyz (Platz fünf bei der Wahl zum Sportler des Jahres 2004) und Heinrich Popow. Die Deutschen haben – wie 25 andere Nationen – Änderungswünsche eingereicht. Jetzt sind Popow, Czyz und ein paar weitere wieder dabei. Nicht dabei ist weiterhin Marianne Buggenhagen, die neun Mal Gold bei Paralympics geholt hat und in London ihren Abschied vom Behindertensport feiern wollte.

Der Deutsche Verband behauptet auf meine Anfrage hin, er habe auch die Wiederaufnahme von Buggenhagens Wettkampf beantragt. Doch das ist falsch. Im offiziellen Schreiben des deutschen Verbandes an das IPC, das ich im Anschluss zugespielt bekam, wird Buggenhagen mit keinem Wort erwähnt. Darüber habe ich für ZDFonline geschrieben. Das unprofessionelle Schreiben des Deutschen Behindertensportverbandes DBS gibt es hier im Original. Es ist einem offiziellen Vorschlag an das IPC meiner Meinung nach nicht würdig.

Vorschlag DBS an IPC

Die aktuelle Situation ist für viele Sportler bescheiden. Marianne Buggenhagen und andere, nicht mehr berücksichtigte Sportler haben drei Jahre lang umsonst trainiert. Die Entscheidung, welche Disziplinen und Startklassen 2012 angeboten werden, hätte spätestens 2009 fallen müssen.

Wenn auf die Interessen deutscher Behindertensportler, insbesondere Leichtathleten, international wenig Rücksicht genommen wird, muss sich der DBS aber an die eigene Nase fassen. Entschieden hat über die Streichung der Wettbewerbe die siebenköpfige Leichtathletik-Komission des IPC, in der kein Deutscher sitzt. Auch in der vorbereitenden Arbeitsgruppe hat kein Deutscher mitgearbeitet, obwohl laut IPC die Möglichkeit dazu bestand. Und auf die Neubesetzung zweier wichtiger Posten in der Leichtathletik-Komission hat sich, so gibt das IPC Auskunft, kein Deutscher beworben.

Zudem gibt es unter den etwa 100 Kampfrichtern in der Leichtathletik keinen einzigen Deutschen. Die Kampfrichter – besser umschrieben: Technische Offizielle – sind im Behindertensport aufgrund der vielen Regeln und Wertungen besonders wichtig. Manch einer wirft dem Behindertensport vor, dass durch Regeländerungen und Klassifizierungen noch immer zahlreiche Medaillen am grünen Tisch vergeben werden. Dass die Deutschen international keinen Einfluss haben, ist deshalb doppelt ärgerlich für die Sportler.

Unverständlich ist das Ganze, weil es in Deutschland in Sachen Behindertensport nicht nur viel Know-How gibt (Deutsche Sporthochschule Köln, Prothesenhersteller Otto Bock etc). Das Internationale Paralympische Komitee hat seinen Sitz zudem in Bonn. Der Deutsche Behindertensportverband logiert in Frechen. Von Haustür zu Haustür sind es genau 40 Kilometer.

  1. 4. Mai 2011 -

    Die Berichterstattung hat offenbar Beachtung gefunden – natürlich ohne direkten Einfluss auf die Entscheidung des IPC , den „Weitsprung der T42 Oberschenkelamputierten nach einem Protest des Behindertensportverbandes und weiterem intensiven Nachfragen von Seiten der Medien wieder ins Programm aufzunehmen.“

    http://www.wojtekczyz.de/2010/?p=244

    Der Trend zur Wettkampf-Optimierung auch zugunsten der Medien und des Publikums ist nicht zu stoppen – und bereits seit Athen 2004 in vollem Gange:

    „Qualität statt Quantität – das Rezept des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) ist aufgegangen. Wegen der neuen gerafften Klassifizierungen der Wettbewerbe gab es bei dieser „Paraolympiada“, wie die Griechen sagen, mit gut 500 Entscheidungen 50 weniger als in Sydney vor vier Jahren. Das deutsche Team musste infolge der härteren Qualifikationen mit 41 Athleten weniger antreten als in Australien.“ schreibt Annette Kögel über die Top-Team-Förderung bei den Paralympics 2004 im Handelsblatt. ( http://www.handelsblatt.com/aufwaertstrend-in-athen/2408078.html )

    Aufwärtstrend? Ansichtssache. Ein Sieg nach Punkten für einzelne Athleten – immerhin.