Daniel Drepper

Kritischer Journalismus

Kritischer Journalismus ist ein Pleonasmus. Also „eine Wortgruppe (…) bei der Ausdrucksmittel verwendet werden, die keine zusätzliche Information beisteuern.“ ja, das Fachblabla habe ich auch nachgucken müssen, trotz einer Kafka-Analyse im Deutsch-Abitur. Ich weiß nicht mehr, wo ich den Spruch aufgeschnappt habe, es ist einige Jahre her, aber er geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Journalismus an sich sollte kritisch sein. Doch das ist längst nicht selbstverständlich. Investigativer Journalismus gar ist die große Ausnahme. Aber ich finde, er sollte ein Ziel sein.

Investigativer Journalismus – für mich war das stets ein fernes, großes, unwirkliches Ziel. Etwas, das mit Talent zu tun hatte, mit Glück, unerreichbar für einen normalen Journalisten. Hans Leyendecker, Markus Grill oder Jens Weinreich veröffentlichten Recherchen, bei denen ich mir nicht vorstellen konnte, wie ein Normaljournalist jemals an solche Quellen und Informanten herankommen sollte. Umso mehr bewunderte ich ihre Leistungen. Mittlerweile habe ich gelernt, dass investigativer Journalismus neben Leidenschaft und Glück auch sehr viel Fleiß und harte Arbeit erfordert. Dass er ein Handwerk ist, das zu großen Teilen erlernt werden kann. Und dass er gute Arbeitsbedingungen benötigt, um sich weiter zu verbreiten. All dies hat meine Bewunderung für investigative Recherchen nicht beeinträchtigt und meine Entscheidung, später so weit möglich in diesem Bereich zu arbeiten, gestärkt. Auch, weil ich die investigative Arbeit in Deutschland – in extremer Weise im Sport – für vernachlässigt und bedroht halte. Und weil ich gleichzeitig glaube, dass die neuen Kommunikations- und Öffentlichkeitsstrukturen mit Smartphones, iPad und Web 2.0 der Recherche und der Rolle des Journalismus als vierter Gewalt ganze neue Möglichkeiten geben. Ein Überblick:

Verbreitung und Selbstverständnis
Wie viele Journalisten in Deutschland investigativ arbeiten? Etwa 50 sollen es laut Ingmar Cario und seinem Buch „Die Deutschland-Ermittler“ sein. Die geringe Zahl kommt daher, dass investigative Journalisten nach wissenschaftlicher Definition nicht einfach nur härter arbeitende, tiefer recherchierende Journalisten sind, sondern sich auch durch ihre Arbeitstechniken von anderen Journalisten abgrenzen. Lars-Marten Nagel spricht in seinem Buch „Bedingt ermittlungsbereit: Investigativer Journalismus in Deutschland und den USA“ davon, dass ein Vergleich investigativer Reporter mit dem Beruf des Detektives relativ zutreffend sei. So verwenden investigative Journalisten Recherchemethoden wie verdeckte Kameras und Mikrofone, sie verstecken ihre wahre Identität, treffen sich im Geheimen mit Informanten und werten große Datenmengen aus, um Skandale aufzudecken. Diese Recherche-Techniken setzen investigative Journalisten deshalb ein, weil es – häufig mächtige – Personen gibt, welche die Veröffentlichtung ihrer Informationen verhindern wollen. So weit die Theorie. Einfach auf den Punkt bringt es David Schraven, Vorstandsmitglied des Netzwerk Recherche und Leiter des Rechercheressorts bei der WAZ (für das ich hin und wieder selbst arbeite): „Journalismus ist, wenn man etwas druckt, was ein anderer lieber nicht gedruckt sehen will.“

Die Zahl deutscher Journalisten, die investigativ arbeiten, ist vor allem im Vergleich zu angelsächsischen Kollegen ziemlich gering. Die Wachhund-Journalisten, die Staubaufwirbler und unbequemen Wadenbeißer sind in Amerika hoch angesehen. In Deutschland jedoch gibt es außer einigen Journalisten der politischen Magazine des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie Frontal21 oder Monitor, des Spiegels oder der Süddeutschen Zeitung sowie einigen freien Journalisten nur relativ wenige investigative Reporter. Die aufwändige Arbeit ist herzulande weniger beliebt als in den USA oder England und wird kaum belohnt. Das hat auch Ingmar Cario herausgefunden. Er glaubt, dass dies an der jungen politischen Kultur in Deutschland liegt. Meinungsjojurnalisten hätten ein deutlich höheres Ansehen als Rechercheure. Cario kritisiert auch die rechtliche und ökonomische Situation des investigativen Journalismus in Deutschland. Und klagt über Defizite in der Ausbildung junger Journalisten.

Rechtliche Situation
Auch ohne Zensur sind die Bedingungen für harte Recherchen hierzulande alles andere als paradiesisch. Lange Jahre konnten Behörden zum Beispiel die Herausgabe von Unterlagen verweigern. Bis das Informationsfreiheitsgesetz IFG verabschiedet wurde, waren Informationen der Behörden grundsätzlich erst einmal nicht zugänglich. Seit 2006 ist es andersherum: Der Zugang soll theoretisch immer offen sein und nur in begründeten Fällen zurückgewiesen werden. In der Praxis sieht das jedoch meist anders aus. So wurden im Jahr 2008 laut einer kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen von 1548 IFG-Anträgen nur 618 vollständig zugelassen. Außerdem dauern die Verfahren oft sehr lange und die erhobenen Gebühren sind nicht unerheblich. Wer gegen die Ablehnung klagt, auf den kommen zudem Prozesskosten zu. Deshalb wird das IFG von Journalisten oft nur in Anspruch genommen, wenn der Zugang zu Originalunterlagen dringend nötig ist und die Veröffentlichung Zeit hat. Für kurzfristigere Anfragen, die zur Not ohne Originaldokumente auskommen, eignet sich auch der Verweis auf die jeweiligen Landespressegesetze – obwohl Behörden auch diesen Weg gerne blockieren. Mehr Informationen zu den Rechten von Journalisten gibt es bei „nachgehakt-online“.

Immer wieder kommt es in Deutschland zu Versuchen, die Pressefreiheit einzuschränken oder auszuhöhlen. So werden Journalisten zum Beispiel aufgrund einer EU-Richtlinie bislang nicht von der Vorratsdatenspeicherung befreit, was die geheime Kontaktaufnahme zu Informanten erschwert. Ein berühmtes Beispiel staatlichen Eingriffs in die deutsche Pressefreiheit ist die Durchsuchung der Redaktion des Cicero durch die Potsdamer Staatsanwaltschaft. Das Magazin hatte über den Vertrauten Osama Bin Landens, Abu Mussab Al Sarkawi, berichtet und dabei aus Geheimdienstpapieren zitiert. Der Vorwurf: Geheimnisverrat. Im Nachhinein verurteilte das Bundesverfassungsgericht die Durchsuchung jedoch als verfassungswidrig und stärkte damit die Pressefreiheit. Für Aufsehen hat zuletzt auch die Bespitzelungsaffäre der Telekom gesorgt, die Journalisten ausspähen ließ, um Informanten aus den eigenen Reihen zu entlarven. Auf einer Tagung zum Thema Presserecht Ende Oktober in Dortmund forderte das Netzwerk Recherche, dass das Akteneinsichtsrecht ausgebaut wird, journalistische Anfragen schneller bearbeitet werden und der „fliegende Gerichtsstand“ abgeschafft wird. Bislang kann ein Journalist vor jedem Gericht verklagt werden, in dessen Einzugsgebiet die Veröffentlichung zu bekommen ist. Das kann von Anwälten leicht zum „Gerichte-Hopping“ missbraucht werden. Deshalb hat das Netzwerk Recherche einen neuen Gesetzesentwurf vorgelegt.

Die Macht des Geldes
Die Beispiele zeigen, dass investigative Recherchen in Deutschland trotz offiziellen Zensurverbots und recht weitreichender Presse- und Meinungsfreiheit längst nicht immer erwünscht sind. Zudem werden sie häufig behindert und zum Teil unterdrückt, was auch an ökonomischen Abhängigkeiten liegt. Aufgrund der offiziell nicht mehr besonders guten finanziellen Verhältnisse einiger Verlage wird bei Veröffentlichungen immer häufiger Rücksicht auf Anzeigenkunden genommen. Besonders die Discounter Aldi und Lidl bestrafen hin und wieder recherchierte Veröffentlichungen mit Anzeigenentzug. Der Schaden geht für die betroffenen Verlage schnell in die Millionen. Bei den Badischen Neuesten Nachrichten wurde zwischenzeitlich sogar eine Redakteurin entlassen, weil sie kritisch über Lidl geschrieben hatte. Erst nach bundesweiter Berichterstattung über den Fall wurde die Redakteurin wieder eingestellt.

Überhaupt wird es für den Journalismus in Deutschland immer schwieriger, den verschiedenen Interessen und der Macht des Geldes zu widerstehen. Lobbyismus und PR finden immer stärker ihren Weg in den Journalismus, wie Tom Schimmeck in seinem aktuellen Buch „Am besten nichts Neues“ berichtet. „Der Spin ist jetzt überall. Geschickt werden wir umschmeichelt und mit Geschichten gefüttert“, schreibt Schimmeck. „Was wir brauchen, ist mehr Mut. Um unsere Aufgabe zu behaupten – und dabei manche Hand zu beißen, die uns (kärglich) füttert.“

Die Praxis des investigativen Journalismus
In der Praxis trifft der investigative Journalismus in Deutschland also oft auf deutlich mehr Hindernisse, als es theoretisch der Fall sein sollte. Viele Medien haben wenig Interesse an investigativ recherchierten Beiträgen beziehungsweise sind nicht bereit, die Arbeit für diese Geschichten zu finanzieren. Die Rahmenbedingungen für starke Recherchen sind in Deutschland nur bei ganz wenigen, oben bereits genannten Medien vorhanden. Wer als freier Journalist überhaupt etwas mehr Recherche in Texte und Geschichten investieren will, muss dafür fast immer in Vorleistung gehen. Und häufig wird das Ergebnis dann mit ähnlicher oder gar gleicher Bezahlung abgegolten, wie ein Text, der unter einfachereren Bedingungen entstanden ist.

Oft genug habe ich diese undifferenzierte, gleichförmige Bezahlung in letzter Zeit selbst erlebt, wenn ich als freier Journalist überregionalen Medien meine Angebote mache. Bei den ganz großen deutschen Medien wie zum Beispiel dem Spiegel soll es, so hörte ich, nicht viel anders ablaufen. Nach ersten Erkenntnissen deutscher Blogger werden auch von der Netzgemeinde meinungsfreudige, provokante Artikel weit häufiger belohnt als stark recherchierte, vielleicht sogar investigative Geschichten. So zumindest lassen es erste Versuche mit dem Mikropayment-System Flattr vermuten, wie die taz berichtet.

Recherche ist aber offenbar nicht nur von vielen Konsumenten immer weniger gewünscht. Auch junge Journalisten vermischen zunehmend den Journalismus mit der Öffentlichkeitsarbeit. Was ich verstehen kann, denn die Angst, nur mit Journalismus nicht über die Runden zu kommen, ist sicher nicht unbegründet. Viele Lokalzeitungen zahlen für zwei, drei Stunden Aufwand mit gutem Willen 20 Euro, überregionale Tageszeitungen bezahlen 150 oder 200 Euro für einen langen Text (alles brutto) – dafür dauern die Recherchen aber auch oft mehrere Tage. Wer nicht geschickt mehrfach verwertet, sieht sich lieber nach guter Bezahlung um, als in seine journalistischen Träume zu investieren und letztlich auf der Straße zu sitzen. Investigativer Journalist – diese idealistische Berufsbezeichnung erträumen sich wohl nur die wenigsten Nachwuchsjournalisten.

Web 2.0 und die Hoffnungen des Internets
Hoffnung macht meiner Meinung nach das Netz. Mehr Informationen, mehr Recherchemöglichkeiten, mehr Vernetzung, mehr Transparenz und mehr Zusammenarbeit. Einige Blogs haben in den vergangenen Jahren bessere Recherchen und besseren Journalismus gezeigt, als es viele traditionelle Medien getan haben. Beispiele sind im Bereich Sport Jens Weinreich oder in der Medienkritik das Bildblog und Stefan Niggemeier. Eine große Rolle spielten Blogs zuletzt auch bei der NRW-Landtagswahl. So enthüllten wir-in-nrw.de oder ruhrbarone.de (für die ich hin und wieder auch selbst schreibe) einige Skandale, die erst im Anschluss von klassischen Medien aufgegriffen wurden.

Nachtrag: Den Beitrag habe ich in ähnlicher Form (aber ohne Links) im Sommer für den M100 Sanssouci Jugendmedienworkshop geschrieben.

  1. 6. Januar 2011 -

    sehr guter beitrag, wird in meiner bachelor-arbeit erwähnung finden :)

  2. 18. August 2011 -

    Sehr interessanter und guter Beitrag. Bin zufällig drauf gestoßen. Eine Anmerkung: Kritischer Journalismus sollte, meiner Meinung nach, auch Journalismuskritik beinhalten. Auch wenn ich nicht vom Fach bin, habe ich den Eindruck, dass Sie aber Recht haben, besonders in Bezug auf den Sportbereich.

    • 18. August 2011 -

      @GrünerElch

      Danke. Und ja, nur über Kritik am Journalismus macht man sich schließlich bewusst, was richtig und wichtig und was falsch und überflüssig ist. Und entwickelt vielleicht auch neue Formen …

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