Daniel Drepper

Entwicklung Leichtathletik-Weltrekorde: Datenjournalismus

Sogar Usain Bolts jüngster Rekord ist schon drin: Mehr als 2000 Weltrekorde hat der Finne Jens Finnäs – super Name für einen Finnen – für sein Projekt verarbeitet und ich finde, es hat sich gelohnt. Finnäs hat alle Leichtathletik-Weltrekorde fast aller Disziplinen handlich visualisiert.

Die Weltrekord-Entwicklung im Vergleich. Hier: 100 Meter und 10000 Meter der Männer. / screenshot von jensfinnas.com/dataist/wr_progression/

Die Weltrekord-Entwicklung im Vergleich. Hier: 100 Meter und 10000 Meter der Männer. / screenshot von jensfinnas.com/dataist/wr_progression/

Mit Ausnahme von Marathon und Gehen hat Finnäs in seiner Anwendung alle Weltrekorde aufgenommen (auf meine Nachfrage hin will Finnäs die beiden vielleicht noch aufnehmen). Das veranschaulicht die Entwicklung der Weltrekorde sehr gut, man kann Disziplinen vergleichen oder die Veränderungen bei Frauen und Männern.

In seinem Blog erklärt Finnäs, 27 Jahre und aus Helsinki, wie er die Daten verarbeitet hat. Finnäs kopierte die Daten aus dem 2009 zur WM in Berlin erschinenen Statistik-Handbuch der IAAF (hier als pdf) und versuchte sie bei Excel in Form zu bringen. Alle seit 2009 neu erzielten Weltrekorde trug Finnäs nach, auch die Jamaikaner am vergangenen Sonntag.

Finnäs erklärt auch, mit welchen Programmen er die Daten visualisiert. Für mich als Datenjournalismus-Anfänger ist das Fachchinesisch, aber es hört sich an, als könne man sich vergleichsweise schnell einfinden.

Datenjournalismus an sich ist super. Auch wenn Finnäs Vergleich erstmal nur eine Spielerei mit Weltrekorden ist, es lassen sich auch viele andere gute Sachen machen. Wer mehr wissen will, ist bei Lorenz Matzat oder Christiane Schulzki-Haddouti gut aufgehoben.

Der Sport ist für Datanerds eine tolle Spielwiese. Im Gegensatz zu brisanten Daten bei harten Recherchen sind Zahlen und Fakten im Sport sehr leicht zugänglich. Die New York Times hat das 2008 mit einem Vergleich der Rekordentwicklung schon einmal vorgemacht. Dort sind nicht nur einige Leichtathletik-Rekorde, sondern auch ausgewählte Disziplinen im Schwimmen, Radsport, Schießen und Gewichtheben aufgearbeitet. (Den Link dazu habe ich bei Finnäs gefunden)

Und was ist mit Doping?

Achja: „Die Frage ist, ob man daraus Doping lesen kann“ – Das war die erste Frage, die ich bei Facebook als Reaktion auf den Link zu Finnäs‘ Visualisierung bekam. Und auch bei Finnäs fragt ein Leser, ob die Anzahl der Doping-Tests mit der Entwicklung korreliert. Die Daten laden zu Spekulationen ein. Einige wissenschaftliche Anhaltspunkte bietet das Buch „Doping im Spitzensport“ von Andreas Singler und Gerhard Treutlein aus dem Jahr 2000, dass es kostenlos bei Google Books zu lesen gibt.

Singler und Treutlein befassen sich in ihrem Buch unter anderem mit dem Einfluss von Doping auf die Leistungsentwicklung. Sie schreiben, dass „Doping und Dopingkontrollen zwar nicht die einzigen, aber spätestens seit den 60er Jahren wesentlichen Ursachen von Leistungsentwicklungen waren“. Einige Punkte:

  • die stärkste Leistungsentwicklung in der Leichtathletik war in den frühen Siebziger Jahren. „Sie fiel bei den Frauen stärker aus als bei den Männern, weshalb eine Beschleunigung durch Anabolikadoping anzunehmen ist“ (Seite 52)
  • besonders auffällig ist laut Singler/Treutlein, wenn in einer ganzen Disziplingruppe wie den Würfen eine gleichzeitige Entwicklung einsetzt. In den USA habe dies Ender 1950er Jahre stattgefunden, was etwa mit der Einführung des fast ausschließlich verwendeten Anabolikums Dianabol zusammenfällt (Seite 85/90)
  • „In verschiedenen Disziplinen (…) sind viele Leistungsentwicklungen im betrachteten Zeitraum (ca. 1960-1990) atypisch (…). Leistungsaufschwünge können zumindest zum Teil auch auf Doping, Leistungseinbrüche wie nach 1989/1990 auf die Effektivierung der Dopingbekämpfung zurückgeführt werden.“ (Seite 80)
  • die Leistungseinbrüche um 1990 wurden in Jahren danach laut Singler/Treutlein wieder nach oben korrigiert, was für die verstärkte Verwendung von Epo und Wachstumshormonen spreche. Ein Beispiel ist der Ausdauersport: Die Entwicklung der Langstreckenweltrekorde war nach der Verbreitung von Eop in den 1990er Jahren besonders krass. (u.a. Seite 30)

Das Fazit von Singler/Treutlein: „Leistungsentwicklungen können, wie gezeigt wurde, erste Aufschlüsse vermitteln, die auf Doping (…) hinweisen. (…) Für den DDR-Leistungssport kann der Zusammenhang zwischen Doping und Leistungsentwicklung recht deutlich nachgewiesen werden. Für andere Länder ist der Zusammenhang weniger deutlich, zumal auch entsprechende Dokumente fehlen. (…) Sowohl überragende Einzelleistungen als auch große Leistungsverbesserungen auf breiter Ebene sind meist eindeutig durch solche Formen der Manipulation erklärbar. (…) Bestimmte Leistungsentwicklungen auf Doping zurückzuführen, bleibt jedoch weiterhin problematisch, und dies umso mehr, je individueller solche Zuwächse zu Stande gekommen sind.“

Das Buch von Singler/Treutlein kann ich nur empfehlen, dort finden sich zahlreiche spannende Infos und Interpretationen zu Doping im Spitzensport.

Aufmerksam geworden bin ich auf die Seite von Finnäs übrigens durch den Twitter-Account der Sportredaktion von Zeit-Online.

  1. 6. September 2011 -

    […] Crosspost […]

  2. 6. September 2011 -

    Hi. Sehr interessant alles. Danke für das Aufmerksam machen! Zu den Rekorden Marathon/Gehen kann ich vielleicht noch etwas sagen:
    Einen Weltrekord gibt es dort erst seit kurzem, auch wenn die Disziplinen freilich schon älter sind (als z.B. Hammerwurf Frauen). Deshalb wird es vermutlich auch schwieriger sein, die Leistungsentwicklung dort zurückzuverfolgen, oder es gibt nur die letzten paar Jahre.
    Zuvor gab es nur eine „Weltjahresbestleistung“. Auch heute gilt nicht unbedingt jede Zeit als Rekord – dafür muss die Strecke (sind ja nicht immer identisch) einige Kriterien erfüllen (etwa beim maximalen Höhenunterschied zwischen Start und Ziel, etc.)

    • 6. September 2011 -

      @Andreas

      Hi Andreas. Gerne. Das mit den Marathon-Weltrekorden war mir bewusst. Der Grund, warum die Rekorde nicht auftauchen, ist aber lustigerweise ein anderer: Jens Finnäs sagt: „They were in a slightly different format in the pdf and were therefore left out in the beginning of the process. Then I forgot about them, but at this point they could be added fairly easily.“

  3. 6. September 2011 -

    […] Artikel erscheint auf YOUdaz.com mit freundlicher Genehmigung als Crosspost. Tweet ShareÄhnliche BeiträgeKinderparadies Frankfurt?Politische Mobilisierung mit Facebook […]

  4. 19. September 2011 -

    […] Zahlenspiele bereite kürzlich Sportjournalist Daniel Drepper auf. In seinem Blog nahm er sich der Entwicklung Leichtathletik-Weltrekorde: Datenjournalismus an. Ausgangspunkt ist die Aufbereitung von mehr als 2000 (!!) Weltrekorden in der Leichtathletik […]

  5. 26. September 2011 -

    Jens Finnas hat den Marathon nach Makaus 2:03:38 in die Grafik eingefügt: http://jensfinnas.com/dataist/wr_progression/