Daniel Drepper

Wie berichte ich über Doping und wissenschaftliche Quellen?

Das Paradebeispiel Claudia Pechstein / Oliver Lempe via CC-Lizenz

Das Paradebeispiel Claudia Pechstein / Oliver Lempe via CC-Lizenz

Was muss ich beachten, wenn ich über Doping berichte? Für mein Journalistikstudium habe ich im Frühjahr eine kleine Hausarbeit geschrieben. Einige wenige Grundlagen und etwas Literatur, offen für Diskussionen.

1. Einleitung
Dopingberichterstattung ist eine der schwierigsten Disziplinen des Sportjournalismus. „Sportjournalisten haben als Einzelkämpfer da keine Chance“, schreibt Jens Weinreich in einem Werkstattheft zum Sportjournalismus der Zeitschrift message. „Selbst bei dauerhaft größten Anstrengungen werden sie tendenziell nie einen Doper enttarnen.“ (Weinreich 2008; Seite 9) Mit dieser Arbeit möchte ich herausarbeiten, was das für die Berichterstattung über Doping bedeutet. Ich möchte aufzeigen, welche Hürden sich Journalisten bei der Dopingberichterstattung in den Weg stellen und was das für ihre Recherche bedeutet. Insbesondere möchte ich auf die hohe Bedeutung wissenschaftlicher Quellen in der Dopingberichterstattung eingehen. Was bedeutet die Abhängigkeit von wissenschaftlichen Analysen und Laborergebnissen für Journalisten? Und welche Grundvoraussetzungen ergeben sich daraus für Journalisten, um über Doping zu berichten? Da der (pharmakologische) Betrug am Gegner elementarer Bestandteil des Sports ist, ist auch ein Sportjournalismus ohne eine gute Dopingberichterstattung nicht viel wert. Dennoch beschreibt Jens Weinreich die Dopingberichterstattung als ein „Tagesgeschäft im Rahmen des Möglichen, um Enthüllungen geht es nur selten.“ (Weinreich 2008; Seite 9) Umso wichtiger, das Handwerkszeug zu kennen.

2. Definitionen
Um mich der Dopingberichterstattung zu nähern, möchte ich zunächst die beiden entscheidenden Einflussfaktoren dieser Art von Berichterstattung kurz definieren. Dies sind meiner Meinung nach zum einen das Doping selbst, zum anderen die in diesem Fall nicht selten benötigte investigative Recherche.

2.1 Definition Doping
Doping ist im Nationalen Anti Doping Code der Nationalen Anti Doping Agentur NADA definiert als „das Vorliegen eines oder mehrerer der nachfolgend in Artikel 2.1 bis Artikel 2.8 festgelegten Verstöße.“ Darunter fallen zum Beispiel „das Vorhandensein einer Verbotenen Substanz, ihrer Metaboliten oder Marker in der Probe eines Athleten. (…) Der Gebrauch oder der Versuch eines Gebrauchs einer Verbotenen Substanz oder einer Verbotenen Methode durch einen Athleten.“ Oder auch: „Die Unzulässige Einflussnahme oder der Versuch der Unzulässigen Einflussnahme auf irgendeinen Teil des Dopingkontrollverfahrens.“ Der NADA-Code ist erstellt auf Grundlage des Codes der Welt Anti Doping Agentur WADA, bei der die beschriebene Definition ähnlich lautet.

Die einzelnen Sportverbände in Deutschland müssen ihre Regularien dem NADA- und damit dem WADA-Code angleichen, zum Teil verweisen Sie in ihren Regularien auf den Code der Anti-Doping-Agenturen. So gilt im Sport mittlerweile eine einheitliche Doping-Definition.
Nicht selten wenden auch Funktionäre und Verbände ihre eigenen Regeln nicht korrekt an oder verdrehen sie zu ihren Gunsten, verweisen auf Paragraphen oder schieben Verantwortung ab. Um die Sprechblasen der Betreffenden zu durchleuchten und Ungereimtheiten auf die Schliche zu kommen, ist es daher entscheidend, die juristischen Formulierungen genau zu kennen, zu verstehen und hinterfragen zu können.

2.2 Definition Recherche
Der Begriff Recherche wird im Journalismus für viele Tätigkeiten genutzt. Dazu zählt zum Beispiel auch die Themenrecherche. Die eigentliche Form der Recherche ist jedoch die aufdeckende oder investigative Recherche.

„Die aufdeckende oder investigative Recherche zeichnet sich dadurch aus, dass aufgrund der Nachforschungen eines Journalisten eine Information von öffentlicher Relevanz publik wird, die nur gegen einen Widerstand zu erlangen war. (…) Dieser Recherche-Typus ist wegen seiner demokratietheoretischen Funktion der Machtkontrolle besonders wichtig, zugleich allerdings wegen seines aufwändigen und konfliktträchtigen Verfahrens die am wenigsten gepflegte Form.“

(Weischenberg 2005; Seite 390f.)

Zu den klassischen Aufgaben des investigativen Journalismus gehört die Korruptionsaufdeckung (vgl. Weischenberg 2005; Seite 122ff.). Da Doping als eine Form der Korruption im Sport gesehen werden kann (vgl. Bannenberg 2006; Seite 214ff.), ist Dopingberichterstattung in ihrer Idealform somit eine Form der investigativen Recherche.

Diese Form der Berichterstattung wird jedoch nur von wenigen Journalisten wirklich praktiziert. Auf etwa 50 Journalisten schätzt zum Beispiel Ingmar Cario die Zahl der investigativ arbeitenden Reporter in Deutschland. (vgl. Cario 2006) Ihre Recherche geschieht „gegen Widerstände und Barrieren unterschiedlichster Art, denn an der Aufdeckung hat die Gegenseite kein Interesse“. (Weischenberg 2005; Seite 124)

3. Dopingberichterstattung
In der Dopingberichterstattung vermischen sich verschiedenste Anforderungen an den Journalisten. Nicht nur, dass er sich gegen Wiederstände durchsetzen muss, er hat sich auch in den verschiedensten Wissensbereichen zu informieren. So fließen in die Doping-Problematik sportliche, rechtliche, wirtschaftliche, politische und wissenschaftliche Aspekte ein.

3.1 Besonderheiten
Im Sport ist die Mauer des Schweigens in Sachen Doping oft besonders groß, beispielhaft zu sehen am Radsport.

„Der beste Schutz der Dopingszene ist immer noch das kollektive und individuelle Schweigen. (…) Erwischte Fahrer reagieren selbstverständlich mit Schweigen bzw. Leugnen und können sich so am ehesten der Solidarität der Kollegen und künftiger Chancen in einem Team sicher sein.“

(Schenk 2007; Seite 134)

Um dopende Sportler definitiv zu lokalisieren, müsste ein Journalist daher Teil des Systems werden – oder sich zumindest extrem gut im System vernetzen. So geschehen bei dem Radsportexperten Ralf Meutgens. Für Außenstehende gilt, sich möglichst gut zu informieren. „Es geht nicht um Verdachtsberichterstattung, sondern um Wahrhaftigkeit in der täglichen Arbeit.“ (Weinreich 2008; Seite 9)

Jens Weinreich hat eine Checkliste zur Dopingberichterstattung aufgestellt. Für ihn ist diese nichts als Handwerk. Grundvoraussetzung sind für ihn erstklassige sportpolitische Kenntnisse, hilfreich seien zudem medizinische und juristische Fachkenntnisse sowie eine kriminalistische Grundausbildung. Zudem empfiehlt er unter anderem, Ergebnisse einzuordnen, misstrauisch zu sein, das Umfeld der Sportler zu überprüfen sowie regelmäßig mit Trainingskollegen, Kontrahenten, Trainern, Kontrolleuren, Funktionären, Juristen und Wissenschaftlern zu sprechen. (vgl. Weinreich 2008; Seite 10)

3.2 Wissenschaftliche Quellen
Besonders Wissenschaftler sind in der Dopingberichterstattung für Journalisten wichtige Gesprächspartner. Um einen Sportler definitiv des Dopings zu überführen, ist mit Ausnahme von kriminalistischen Ermittlungen so gut wie immer ein wissenschaftlicher Dopingnachweis nötig. Sei es nun ein positiver Test auf eine bestimmte Substanz oder der indirekte Dopingnachweis. Dadurch stoßen Dopingreporter bei ihren Recherchen letztlich immer wieder auf Wissenschaftler.

Für den Bereich Doping kommt erschwerend hinzu, dass über positive oder negative Testergebnisse die von der WADA akkreditierten Labore entscheiden. In Deutschland sind dies genau zwei, die Labore in Köln und Kreischa.

Umso wichtiger ist es für Dopingreporter, die grundlegenden Regeln des Wissenschaftsjournalismus zu befolgen. Die akkreditieren Labore sind teilweise von ihren Geldgebern aus Sport und Politik mehr oder minder abhängig. Wer bei der Suche nach Experten jedoch außerhalb der Labors fündig werden will, muss besonders achtgeben. Denn nicht jeder Wissenschaftler, der sich zum Thema Doping äußert, ist auch wirklich Experte auf diesem Gebiet. Ganz im Gegenteil. Holger Wormer hat für die Überprüfung der Kompetenz eines Experten Grundlegendes notiert. So gibt es einige Indikatoren, an denen sich gute Wissenschaftler erkennen lassen: Darunter fallen „Publikationen zum jeweiligen Thema (!) in angesehenen („Peer review“-)Fachzeitschriften (…), Buchveröffentlichungen in wissenschaftlichen Verlagen“ (Wormer 2008; Seite 350) oder auch Drittmittelförderungen, angesehene Forschungspreise, Lehrtätigkeit oder die Mitgliedschaft in Fachgesellschaften. (vgl. Wormer 2008; Seite 351)

„Wichtig: Das skizzierte Raster (…) ersetzt nicht die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem recherchierten Thema“, schreibt Wormer weiter. (Wormer 2008; Seite 351) Die Gewichtung einzelner Bewertungsfaktoren hänge von der wissenschaftlichen Disziplin ab, Drittmittel könnten auch Abhängigkeiten signalisieren und Begriffe wie „Institut für …“ seien nicht geschützt. (vgl. Wormer 2008; Seite 351)

Dabei sollten Journalisten sich nicht scheuen, Wissenschaftler höflich nach ihrem Hintergrund zu befragen.

„Auch – oder gerade – erfolgreiche Wissenschaftler können versteckte Interessen haben. Besonders dann, wenn sie von sich aus in die Medien drängen, sollte man die journalistischen W-Fragen in eine neue Reihenfolge bringen: Warum sagt wer was wann wo und wie? Warum etwa verkündet ein Wissenschaftler einen „Durchbruch“ just dann, wenn gerade die Finanzierung eines Forschungsprojekts zur Verlängerung ansteht?“

(Der 5-Minuten-Check: Holger Wormer für den Journalist)

Zudem solle laut Wormer darauf geachtet werden, wie im guten Journalismus ohnehin üblich, auch bei Expertenbefragungen die Gegenseite zu hören.

Journalisten sollten sich, um Forschungsergebnisse im Themenbereich Doping einschätzen zu können, die wichtigsten im Wissenschaftsjournalismus erprobten Verhaltensweisen angewöhnen. Dazu gehört zuvorderst auch das logische Denken. „Wissenschaftliche Aussagen sollten immer den Grundsätzen der formalen Aussagenlogik folgen, die eigentlich leicht einsehbar sind, jedoch oft missachtet werden“, schreibt Gerd Antes. (Antes 2008; Seite 101) Wenn also wie in der aktuellen Statistik der Nationalen Anti Doping Agentur NADA bei 14286 Tests nur bei 41 Dopingkontrollen Verfahren wegen auffälliger Werte eröffnet werden , heißt das längst nicht, dass die Quote der dopenden Sportler im Promillebereich liegt – auch wenn Sportfunktionäre dies oder ähnliches gerne glauben machen wollen. Die geringe Zahl positiver Tests zeigt nur, dass die übrigen Sportler nicht erwischt wurden. Ob sie gedopt haben? Darüber gibt diese so gern verwendete Statistik keinerlei Auskunft.

Gerd Antes zählt weitere beliebte Fehler bei der Interpretation wissenschaftlicher Ergebnisse auf. So sollten sich Journalisten in acht nehmen vor der verzerrenden Darstellung durch absolute Zahlen und Prozente. (vgl. Antes 2008; Seite 102) Und: „Einfache Erklärungen sind besser zu verkaufen als komplexe. Fehlerhafte Vereinfachungen sind deshalb eine permanente Bedrohung.“ (Antes 2008; Seite 102)

3.3 Der Fall Pechstein
(Update 10. August 2011: Die folgenden Annahmen sind zum Teil falsch; näheres in den Kommentaren)
Dass wissenschaftliche Fehlinterpretationen in der Dopingberichterstattung immer wieder vorkommen, zeigt sich auch im Fall der wegen Blutdopings gesperrten Berliner Eisschnellläuferin Claudia Pechstein. Seit mittlerweile mehr als zwei Jahren wird über Claudia Pechstein diskutiert. In Foren und Kommentarspalten sind in dieser Zeit abertausende, teils hoch-wissenschaftliche Argumente ausgetauscht worden. Ob Claudia Pechstein gedopt hat oder nicht, kann und will ich an dieser Stelle nicht kommentieren. Eines wird in der Retrospektive jedoch klar: Der Fall ist längst nicht so eindeutig, wie es zu Anfang in manchem Bericht schien.

„Experten wird in Deutschland alles geglaubt, bis es der nächste Experte widerlegt“, schrieb Werner Bartens, Wissensredakteur der Süddeutschen Zeitung, in einem Beitrag zum Fall Pechstein. Bartens fühlte sich bei der Diskussion um Pechstein an Karl Valentin erinnert: Es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. „Zu redlicher Wissenschaft gehört es, den bisherigen Erkenntnisstand nicht auszuklammern und einzugestehen, dass einige Fachleute, die jetzt in die Offensive gehen, mit ihrer Argumentation bereits vor dem Cas gescheitert waren.“

Zum Fall Pechstein sind Dutzende Experten befragt und verschiedenste Gutachten und Stellungnahmen angefertigt worden. Zahlreiche Gerichtsurteile befeuerten den Fall ebenso wie öffentliche Erklärungen und Pressekonferenzen. Wer letztlich Recht hat, ist bis heute nicht abschließend geklärt. „Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es in der Wissenschaft nie“, sagt auch der Lausanner Blutdopingexperte Pierre-Edouard Sottas in der Neuen Zürcher Zeitung.

Sottas war einer der Gutachter in Pechsteins Verfahren vor dem Weltsportgerichtshof CAS. Bei den Verhandlungen saß das Gericht – und damit anschließend auch die Medien – einem Fehler auf, den ich an dieser Stelle exemplarisch für die Diskussionen der vergangenen Monate anführen möchte. Sottas sollte beurteilen, ob die ihm vorgelegten Blutwerte von Pechstein unnormal sind. Dies stellte der Experte fest. Das Profil von Pechstein habe jedoch nicht einem typischen Dopingfall entsprochen, so Sottas. Die Neue Zürcher Zeitung schreibt, die ISU habe in ihrer Anklageschrift dennoch formuliert, dass es für dieses abnormale Bild nur die Erklärung der Manipulation geben könne, Sottas und drei andere Experten hätten dies bestätigt. „Der Lausanner sagt, er habe nie eine solche Behauptung formuliert, noch sie unterschrieben“, schreibt Geisser weiter in der Neuen Zürcher Zeitung. Egal ob Fehler oder bewusste Täuschung – an diesem Beispiel wird deutlich, wie schnell falsche Fakten in die Öffentlichkeit gelangen und ein Bild verzerren.

4. Fazit
Die Beschäftigung mit wissenschaftlichen Ergebnissen hat bei Dopingreportern einen größeren Anteil an der täglichen Arbeit als bei anderen Sportjournalisten. Experten, die wissenschaftliche Forschungen und Testergebnisse erklären, sind in der Dopingberichterstattung unverzichtbar. In meiner Einleitung hatte ich gefragt, was diese Abhängigkeit für die Journalisten bedeutet und welche Grundvoraussetzungen sich daher ergeben, um über Doping zu berichten. Dopingberichterstatter müssen neben sportlichem Wissen auch rechtliche, politische, wirtschaftliche und vor allem wissenschaftliche Grundkenntnisse haben. Die Grundlagen des Wissenschaftsjournalismus und der Expertenbewertung sollten jedem Dopingberichterstatter geläufig sein. Über Doping berichtende Journalisten sollten in ihren Recherchen zudem grundsätzlich alles hinterfragen und misstrauisch bleiben. Bei Gesprächen mit und Analysen von Experten gilt stets: Gesunden Menschenverstand nicht außen vor lassen, logisches Denken nutzen.

5. Literaturverzeichnis

Antes, Gerd: Die Qualität wissenschaftlicher Arbeiten – eine Bewertungshilfe für Journalisten. In: Hettwer, Lehmkuhl, Wormer, Zotta: Wissenswelten. Wissenschaftsjournalismus in Theorie und Praxis, Gütersloh 2008

Bannenberg, Britta / Rössner, Dietmar: Straftat gegen den Wettbewerb. In: Weinreich, Jens: Korruption im Sport, Leipzig 2006

Bartens, Werner: Entlastung auf Eis. Webseite der Süddeutschen Zeitung.

Cario, Ingmar: Die Deutschland-Ermittler, Berlin 2006

Geisser, Remo: Die überhörten Zweifel. Webseite der Neuen Zürcher Zeitung.

Nationale Anti Doping Agentur Deutschland: Nationaler Anti Doping Code 2009, Aachen 2010

Nationale Anti Doping Agentur: NADA-Jahrbuch 2009, Aachen 2010

Pöttgen, Klaus: Die Richter in den weißen Kitteln.

Schenk, Sylvia: Hindernisse, Täuschungen und Selbsttäuschungen im Anti-Doping-Kampf. In: Meutgens, Ralf: Doping im Radsport, Kiel 2007

Weinreich, Jens: Geschichten aus Anabolistan. In: Hinter die Rekorde blicken, message Werkstatt 2/2008. Verlag der evangelischen Gesellschaft, Stuttgart 2008

Weischenberg, Siegfried / Kleinsteuber, Hans / Pörksen, Bernhard: Handbuch Journalismus und Medien, Konstanz 2005

Wormer, Holger: „Wie seriös ist Dr. Boisselier?“ Quellen und Recherchestrategien für Themen aus Wissenschaft und Medizin. In: Hettwer, Lehmkuhl, Wormer, Zotta: Wissenswelten. Wissenschaftsjournalismus in Theorie und Praxis, Gütersloh 2008

Wormer, Holger: Der 5-Minuten-Check. Webseite des Fachmagazins Journalist.

  1. 8. August 2011 -

    Doping wird nahezu ausschließlich dem Fehlverhalten einzelner Personen zugeschrieben. Wird ein Athlet des Dopings überführt, dann wird er öffentlich als Betrüger gebrandmarkt. Diese Sichtweise geht davon aus, dass der Athlet selbst bestimmt handelt. In den meisten Fällen tut er das nicht. Deshalb sollte vor Allem auch das Umfeld des Athleten betrachtet und bewertet werden. Trainer, Ärzte, Experten und Funktionäre werden in der Regel nicht an den Pranger gestellt.

    Medien haben eigene, selbstbezogene Ziele. Die Medien sehen sich bis heute noch nicht als Mitverursacher des Dopingproblems, obwohl sie in der Verwertungskette spitzensportlichen Handelns von zentraler Bedeutung sind. Spitzensportler lassen sich prima verkaufen und mit Spitzensportlern verkauft sich auch ein Medium gut. Das gilt für die Sportberichterstattung im Allgemeinen und die Doping-Berichterstattung im Speziellen. Wer als Journalist glaubwürdig bleiben will, der sollte den totalitären Leistungs- und vor Allem den Showsport zu jeder Zeit kritisch begleiten, denn Dopingvergehen entspringen keiner einsamen Entscheidung eines Einzelnen, sondern aus einer Situation in der höchste Erwartungen in Sportler gesetzt werden und kommerzielle Notwendigkeiten bedient werden müssen. Allein diese Spannung auszuhalten ist schon eine besondere Leistung.

  2. 8. August 2011 -

    Völlig aus der Verantwortung nehmen sollte man den Athleten dann doch nicht, aber grundsätzlich sehe ich das ähnlich. Leider ist der kritische Grundton selten.

    Die Spannung zwischen Erfolgsdruck und Ungewissheit; zwischen finanziellen Zwängen und Verlockungen könnte viel häufiger und offener thematisiert werden. Ich habs selbst erst ein paar Mal versucht, bin aber – in gewisser Weise verständlich – nicht immer auf offene Ohren gestoßen.

  3. 10. August 2011 -

    Das beste zum Thema Dopingberichterstattung sind immer noch authentische Interviews wie damals beim Radprofi Jörg Jaksche.

    Näher dran wie der mit Doping in Berührung gekommene Sportler ist in der Regel keiner. Wenn sich ein Sportler einem Journalisten öffnet ist das pures Gold. Doping ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal des Sport. Schau Dir koksende Investmentbankster an, Showgrößen aus dem Rockgeschäft oder Saufgelage von Politikern.

    Sport ist Entertainment. Da nimmt der Zuschauer es in der Regel auch nicht krumm, wenn ein wenig geschummelt wird. Sollte der Betrug und die Ausreden dann doch zu arg blödsinnig daherkommen und das Publikum sich verschaukelt vorkommt, wird erst der Daumen gesenkt.

    Borussia Dortmund zum Beispiel bietet im Fußball zur Zeit pures Entertainmaint. Die Jungs laufen wie einst die Spieler von Carl Zeiss Jena beim 4:0 gegen den AS Rom. Mich als Konsument würde jetzt einfach das Tagesernährungsprogramm der Jenenser aus den 80-zigern und der Jungs von Dortmund interessieren. Zum Beispiel.

    Anderes Thema. Geht Triathlon in Weltklassespähren eigentlich ohne verbotene Hilfsmittel? Was ist mit den ganzen anderen Ausdauersportarten? Wie sieht es hinter den Kulissen bei einer Gewichtheber-WM aus? Man hat eine ungefähre Ahnung. Beweisen kann es in der Regel kaum einer. Die Frage ist ja: Wende ich mich dann einer oder mehrerer Sportarten ab? Wo ziehe ich die Grenze? Wo mache ich eventuell die Augen zu oder drücke zumindest ein Auge zu – Ach, es waren doch herrliche und spannende Stunden damals mit Lance -. Sellbst bei der letzten Schachmeisterschaft in Deutschland wurde betrogen. Stichwort Handyskandal. Also sich dann ganz dem Sport verweigern. Sich jeglicher Übertragung, jeglichem Sportteil in den Zeitungen, jeglichem Sportblog, jeglichem Besuch einer Sportveranstaltung verweigern?

    Ich mag zum Beispiel die Musik von Jimi Hendrix, Janis Joplin oder Jim Morrison. Sie haben reichlich Drogen (legale wie illegale) konsumiert. Den Stab über sie breche ich dennoch nicht. Sie haben eine verdammt gute Musik hinterlassen.

    • 10. August 2011 -

      @sportinsider

      Sportinsider! Zum Thema Doping im Fußball hab ich grad was geschrieben. Noch besser als offene Sportler wären offene Sportärzte. Ich bin vorsichtiger geworden, aber abwenden tue ich mich nicht. Einen spannenden Triathlon kann ich mir immer noch geben, trotz solcher Filme meiner Kollegen. Gewichtheben gebe ich mir allerdings nicht ;) Der Vergleich mit Musikern und Bänker hinkt meiner Meinung nach, weil der Sport sich dem sauberen Ideal verschrieben hat und aufgrund seiner Vorbildfunktion und so weiter von allen Seiten gefördert und gepäppelt wird. Unter anderem.

      • 10. August 2011 -

        @Daniel Drepper

        Leser ha hat im Blog von Jens Weinreich einige Anmerkungen zu meinem Pechstein-Beispiel angeführt. Er schreibt:

        „Im CAS-Urteil ist nachlesbar, dass der angebliche Sottas’sche Meinungsumschwung den Richtern bekannt war; sie hatten ihn jedoch für irrelevant erklärt (und Pechsteins Antrag auf eine neue mündliche Verhandlung mit Sottas abgelehnt), Begründung: Man habe sich fürs Urteil ohnehin „nicht auf das schriftliche Sachverständigengutachten von Prof. Sottas“ gestützt. Sottas selbst hat dann (…) zwei sehr klare Aussagen getroffen. Erstens: Er habe die ISU “immer darauf hingewiesen, dass sie die Möglichkeit einer Blutanomalie untersuchen müsse – so weit sie kann”. Dieser Empfehlung folgte die ISU mit der 90-Tage-Frist für medizinische Tests, die Pechstein seinerzeit ablehnte. Das erklärte Sottas’ zweite Feststellung: Er fühle sich “von ISU-Funktionären nicht betrogen”. Sottas stellte auch seine eingeschränkte Zuständigkeit klar: Als Statistiker habe er sein Gutachten nur zur Einzigartigkeit der Pechstein’schen Blutwerte abgegeben, aber nicht zu deren Ursache.“

        Das ist natürlich bescheiden gelaufen. Ich hatte ja erwähnt, dass ich mir selbst kein Urteil im Fall Pechstein erlauben will, da ich mich mit dem Fall nur ganz zu Beginn ein wenig beschäftigt habe. Vielleicht hätte ich die Finger dann ganz vom Beispiel Pechstein lassen sollen … Dank an ha für die Anmerkungen.

  4. 10. August 2011 -

    Sorry, dass ich nicht zuerst hier kommentiert habe. Aber Du hattest ja für den Fall Pechstein auch auf die lange Zeit bei jensweinreich.de wogenden Debatten verlinkt. Generell ist Dein Beispiel richtig gewählt: Dieser Fall überfordert bzw. hat Berichterstatter überfordert wie kein anderer.
    Nur nicht mit Sottas. Eher mit medizinischen Thesen zu Blutanomalien, die sich im Nachhinein als wacklig erwiesen haben und das noch immer sind – in den Augen anderer Wissenschaftler. Für den Umgang damit gibt’s kein Rezept, außer dem von Dir genannten: misstrauisch bleiben.
    Das journalistische Problem hier geht aber auch in eine etwas andere Richtung: Welches Medium geht derartige Entwicklungen noch mit? Zwar ist mit Pechstein der Begriff Retikulozyten in den Doping-Sprachgebrauch eingezogen, aber dass die „Kugelzellanomalie“ (die noch immer als Erklärung für Pechsteins Blutwerte verbreitet wird) wohl keine war und bei der nun ins Feld geführten anderen Anomalie durchaus Fragen offen sind – wer mag das noch seinen Lesern/Hörern zumuten? Ein Beispiel, dass der schöne, zitierte Bartels-Satz (wonach in Deutschland Experten so lange geglaubt wird, bis der nächste Experte etwas anderes sagt) ersetzt werden kann. Nach dem Motto: „Es war kompliziert genug, dem einen Experten zu glauben und der geneigten Leserschaft zu erklären, was er meint – bitte nicht nochmal.“
    Es ist nicht ganz unbedeutend, denn eine fragwürdige Anomalie lässt u.U. Folgerungen für den Dopingfall zu; es ist vor allem deshalb nicht unbedeutend, weil zwischenzeitlich Hämatologen einer Reihe von deutschen Spitzensportlern nicht nur aus dem Eisschnelllauf Anomalien als Erklärung für ihre absonderlichen Blutwerte bescheinigt haben und dafür eine Art Ausnahmegenehmigung erteilt wird – aber wirklich zumutbar ist das kaum einem Medium.
    Da ist also mit dem indirekten Nachweis aufs Ursprungsfeld reduziert ein Wettbewerb zwischen Hämatologen und Antidoping ausgebrochen, und fürs Feld der Berichterstattung eine neue Hürde entstanden für deren sozusagen Verträglichkeit (Rezipientenfreundlichkeit), die die Probleme dieses Nachweises spiegelt. Dafür sind im Übrigen die Doping-Experten nicht viel besser gerüstet als die Journalisten. Wenn der Fall Pechstein also die Zukunft signalisiert, sieht die etwas problematisch aus.

    • 10. August 2011 -

      @ha

      Die Diskussionen fand ich spannend, auch die Texte in der SZ zum Thema. Aber das stimmt natürlich: Es geht so gut wie niemand mehr mit. Die Gründe hast Du beschrieben. Für mich als freien Journalisten kommt hinzu, dass ein unglaublicher Aufwand dahinter steht, diese Diskussion so zu verfolgen, wie es nötig wäre, um seriöse Beiträge zu verkaufen. Deshalb habe ich mich damals auch relativ schnell ausgeklinkt. Ich habe versucht, die Diskussionen zu verfolgen, aber ich konnte mir unmöglich ein gesichertes Urteil bilden, dass ich für Beiträge hätte haben müssen. Deshalb Respekt für alle, die lange durchgehalten haben. Die neue Hürde indirekter Nachweis ist auf jeden Fall groß, das sehe ich genauso. „Etwas problematisch“ ist schön ausgedrückt. Wenn schon normale Dopingberichterstattung teilweise auf Ablehnung stößt…

  5. 11. August 2011 -

    @daniel: Der Tod des Glücks ist der Vergleich hat einst Dr. Reinhard K. Sprenger gesagt.

    Doch werden Banker im Gesellschaftssystem ebenfalls hofiert und den Banken eine honorige Rolle zugebilligt.

    Sportler und Rockstars, da gibt es schon Parallelen. Mir fällt dabei sofort Diego Maradona ein. Die Erdung verloren, Koks nimmt mitunter die Rolle eines Grundnahrungsmittels ein.

    Letztendlich wird die Geschichte mit der Vorbildrolle des Sports ja immer wie ein altes Volkslied mit ewig gleichen Strophen von Sportfunktionären gesungen. Politiker stimmen gerne und willig mit ein. Es lässt sich so schön glänzen im Rampenlicht des Sports.
    Das ist auch nicht neu. Es gibt Fotos von Schmeling mit den Machthabern des NS-Staates. Es gibt Fotos von zahlreichen DDR-Sportlern ganz in der Nähe von Honecker. Es gibt unzählige Geschichten und Fotos von Politikern und Politikerinnen wie Kohl oder Merkel die auch vor der Enge einer Spielerkabine nicht zurückschreckten. Warum gab es kürzlich erst diesen Hype um den Frauenfußball bei einem Turnier in Deutschland? Da hätten sich doch alle Funktionäre und Politiker gerne mit einem Sieg der Neid Frauen geschmückt. Dann wären Schlagworte wie Integration, Vorbildrolle für die kleinen Mädchen oder auch Jungs, Fleiß, Einsatz etc. gefallen.

  6. 15. September 2011 -

    Ein paar, wenn auch verspätete, Hinweise: Nicht jeder Wissenschaftler ist für eine konkrete Fragestellung ein Experte – gerade bei diesem Thema ist das wichtig zu bemerken. Die Tatsache, dass Wissenschaftler A eine Meinung hat und Wissenschaftler B eine andere heisst nicht notgedrungen, dass die Einschätzung von A auf wackligen Füßen steht – es kann auch schlicht sein, dass B sich aus dem Fenster lehnt. In der ganzen Diskussion spielen hämatologische, pharmakologische und labormedizinische Fragestellungen eine Rolle und nicht jeder kann da alles wissen. Gleichzeitig ist das Thema aber sehr emotionsbehaftet – da hält sich auch ein Wissenschaftler nicht immer zurück, selbst wenn er es in der konkreten Situation besser sollte. Natürlich macht das die Situation für Journalisten nicht gerade einfacher, aber zumindest ein Blick auf den Hintergrund der „Wissenschaftler“ kann helfen, deren Positionen etwas besser einzuordnen.

    • 16. September 2011 -

      @Der Doc

      Danke für die Ergänzung, Doc. Umso wichtiger, dass man sich als Journalist immer wieder vor Augen hält, dass ein „he said – she said“ niemanden weiterbringt. Auch wenn es manchmal sehr schwer ist.

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